Donnerstag, 22. September 2016

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Da hab ich mal gewohnt, ein paar Jahre, als Kind und als Jugendlicher. Ist Jahrzehnte her. Ganz hinten, in dem zweiten rosa Haus, in der obersten Etage, der letzte Balkon war unser.
Seinerzeit waren das Steigerhäuser der örtlichen Zeche. Für damalige Zeiten großzügige Wohnungen, Wohnzimmer mit großem Kachelofen, extra Esszimmer, Balkon dadran, große Wohnküche, Kinderzimmer, Bad, alles da. Zentralheizung für die ganze Wohnung, mit Kohle, waren ja Zechenhäuser, die wurde von der Küche aus befeuert und versaute über die Heißluftauslässe überall die Zimmerdecken. Aber war natürlich was Besonderes. Üblich war ja damals Kohleofen in jedem zu beheizenden Raum. Auch dreckig und viel umständlicher.
Einfache Steiger, gar Schichtsteiger, wohnten da kaum drin. In unserm Haus ein Reviersteiger und ein Fahrsteiger (das war schon was Besseres als nur Steiger!), der Rest waren (sog. "bessere") Angestellte aus der Zechenverwaltung, auch zwei aus der Bauabteilung, einer war mein Vater, das kleinste Licht im Haus.
In dem tiefer gelegenen Gartenteil, etwas entfernt vom Haus, hatte jede Wohnung einen kleinen Streifen Land zur eigenen Nutzung. Tradition eben in so bergbaugeprägten Vororten. Die Streifen verwandelten sich aber nach und nach in eine einheitliche Wiesenfläche, Selbstversorgung mit irgendwas hatten die Bewohner nicht nötig, und während der sommerlichen Erntezeit wären die "Gärtner" sowieso im Sauerland, in Oberbayern oder in Rimini gewesen. Oder so.
Das kleine Gebäude zwischen den Wohnhäusern enthält zwei Garagen, es gibt ein weiteres solches Garagengebäude weiter hinten, hier verdeckt. Das muss man sich heute mal vorstellen: 4 Garagen für 12 Wohnungen - 24 würden nicht reichen! Damals ging das, nicht alle hatten 1 Auto, wir auch nicht.
Was ist heute anders?
Zunächst die Farbe der Wohnhäuser. Damals waren die hellgrau, mit einem leichten Stich Ocker, so etwa wie jetzt noch die Garagen. Der Sockel war einfach naturfarbiges Ziegelmauerwerk.
Es gab Ausgänge aus dem Kellergeschoss direkt in den Garten, bzw. in dessen höhergelegenen Teil. Da standen die Metallgestelle, zwischen denen die Wäscheleinen gespannt wurden, die mussten schnell erreichbar sein, denn im Keller wurde gewaschen, in der Waschküche. In der stand ein riesiger, kohlebefeuerter (waren ja Zechenhäuser!) Waschkessel, in dem die Wäsche erst gekocht wurde, danach wurde sie in hölzerne Waschmaschinen mit Wassermotor geworfen und durchgewalkt, oder wie das heisst. An Waschtagen quoll da der Dampf aus der Waschküche wie heute aus Saunen. Meine Mutter mit Gummistiefel, Gummihandschuhen, Gummischürze, Kopftuch und ansonsten leichter Kleidung mittendrin, ein Holzpaddel in der Hand zum Wäscherühren im Kessel.
Die Kohlenkeller der Bewohner lagen zur Straßenseite, damit der Kohlenlaster bis vor die Kellerfenster fahren konnte. Nach hinten raus gab es die Waschküche, einen kleinen Trockenkeller (der eigentliche Trockenraum war im Dachboden, ich hab oft helfen müssen die nasse Wäsche raufschleppen!), und ein paar Verschläge für irgendwas. Na ja. Heute geht alles elektrisch, mit Zauberei also.
Was ist noch anders? Die Mauer fehlt. Die Berme des höheren Gartenteils war zum niedrigeren Garten hin durch eine fast einen Meter hohe, zwei Steine dicke Ziegelsteinmauer abgestützt. Auf der saßen wir Kinder oft und palaverten. Oder sie war der Endpunkt für Ochsambergeeinzweidrei. Usw. Heute keine Kinder da.
Die Balkone! Die Balkone waren anders. Ursprünglich waren deren Geländer feine Zimmermannsarbeit, extra angefertigt. An den Ecken nicht einfach rechtwinklig aneinanderstoßend so wie jetzt bei diesen Baumarkt-/Industriestahlseriengestellen, sondern schön rund geschwungen, 50er Jahre Eleganz. Die Verkleidung bestand aus Holzstäben, senkrecht angebracht mit kleinem Abstand zwischen den Stäben, so dass man durchkucken konnte. Jeder Holzstab außen mit konkaven Profil, jeder Holzstab zweifarbig bemalt, Front hellgrau, Seite etwas dunkler. Obendrauf ein profilierter Handlauf.
Was noch? Den Metallgitterzaun im Vordergrund gab es natürlich damals auch nicht, sondern eine ordentliche, regelmäßig geschnittene Ligusterhecke. Die ließ allerdings schon zu meiner Zeit etwas nach, wir Kinder rannten einfach durch, um unsere Wege abzukürzen.

Lange Rede kurzer Sinn: es ist auch heute nicht alles verkommen in GE. Aber immer ist der Schmelz weg. In heutigen gelsenkirchener guten Wohngegenden (gibt es ja auch) regiert meist der schlechte, teure Geschmack, der prollige Protz bzw. grade hier obszön wirkender Luxus. Na ja.

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Ach so, noch vergessen: Die Gebäude hinter dem zweiten rosa Haus gab es damals natürlich auch noch nicht. Da war bis zur nächsten Straßenkreuzung eine Brache. Die Schnapsfabrik, die da mal gestanden hatte, war im Krieg kaputt gegangen, die Trümmer mittlerweile weitgehend weggeräumt, nur paar Grundmauern und ein halbverschütteter Keller waren anfangs noch Abenteuerspielplatz. Später war dann der letzte Bombentrichter Ort für erste heimliche Zigaretten. Und einen Bolzplatz zum Pöhlen gab es auch: hunderte Kinderfüße hatten Gras und Unkraut weggetrampelt und den Boden verfestigt. Tore waren die Schulranzen oder zusammengesuchte Steine, wie im kitschigen Klischeefilm. Auf dem Platz haben wir allerdings in den 60er Jahren beim Schoresammeln eine noch scharfe Stielhandgranate ausgebuddelt, der Kampfmittelräumdienst musste anrücken. Es war eine Riesensensation für alle Kröten der Umgebung.

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